Ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung verlangt der Buchhaltung einiges ab. Zu jeder Zeit muss die wirtschaftliche Lage des Unternehmens lückenlos, sauber und korrekt nachvollziehbar dokumentiert werden. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) gelten weiter – zusätzlich kommen insolvenzspezifische Anforderungen hinzu.
A. Allgemeines zur Buchführung in der Eigenverwaltung
Ab dem Tag der Antragstellung werden alle bestehenden Verbindlichkeiten „eingefroren“. Neue Verbindlichkeiten, die nach dem Antrag entstehen, laufen über separate Konten. Auf jedem Beleg muss eindeutig erkennbar sein, welchem Abschnitt im Verfahren der Vorgang zuzuordnen ist – idealerweise mit einem Stempel:
a: vor dem Insolvenzantrag
b: im vorläufigen Verfahren
c: im eröffneten Verfahren
Entscheidend für die korrekte Zuordnung ist der Zeitpunkt der Lieferung bzw. Leistung – nicht das Rechnungsdatum. Kommt eine Rechnung mit Leistungen aus verschiedenen Zeiträumen, braucht es separate Rechnungen. Lässt sich das nicht organisieren, hilft eine Aufteilung per Dreisatz. Wichtig: Eine gemischte Rechnung darf nicht komplett überwiesen werden.
Für alles, was nach Eröffnung des Verfahrens passiert, gelten neue Verbindlichkeitskonten – relevant auch für Umsatz- und Vorsteuerkorrekturen.
Technische Umsetzung in der Buchhaltung
Die Geschäftsvorfälle müssen im System klar dem richtigen Zeitraum zugewiesen sein. Insbesondere bei Kreditoren ist eine saubere Abgrenzung wichtig. Vorschläge:
Neue Nummernkreise für Debitoren und Kreditoren
Zusatzkennzeichnung durch Ziffern oder Codes (z. B. A/B/C im Buchungstext)
Neue Belegnummernkreise, Buchungskreise oder sogar Mandanten einrichten
Wie genau das läuft, sollte man mit dem EDV-Dienstleister abstimmen.
Trennung Alt-/Neuverbindlichkeiten
Altverbindlichkeiten müssen separat ausgewiesen werden. Verrechnungen (z. B. Gutschriften) dürfen nur innerhalb desselben Zeitraums erfolgen. Aufwendungen wie Rückstellungen, Abschreibungen, Abgrenzungen etc. werden handelsrechtlich wie gewohnt erfasst – auch wenn noch keine Zahlung erfolgt ist.
Spezialfälle:
Löhne/Gehälter: Belege werden normal gebucht, die Verbindlichkeit bleibt bestehen und wird später mit Quote abgebaut.
Miet-/Leasingaussetzungen: Aufwand wird erfasst, Gegenkonto ist der Kreditor oder ein Sonderkonto.
Umsatzsteuer: muss korrekt umgebucht werden
Factoring & Insolvenzaufwand:
Zahlungen sind dem Zeitraum zuzuordnen, ggf. neue Konten notwendig
Alle insolvenzbedingten Kosten auf spezielle Konten buchen (z. B. Beratung, Gericht, Versicherungen)
Parallele Buchhaltung & Prüfung
Während des gesamten Verfahrens ist zusätzlich eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung notwendig, die ein externer Dienstleister übernimmt. Belege müssen systematisch ausgetauscht werden. Ein Kassenprüfer kontrolliert regelmäßig – es gilt:
Alle Einnahmen/Ausgaben müssen sauber belegt sein
Dokumente müssen vollständig & ohne Verzögerung verfügbar sein
Belegsortierung: direkt hinter Kontoauszüge
Auch Barkassen unterliegen den gleichen Regeln
B. Maßnahmen vor Antragstellung
Noch vor dem Insolvenzantrag sollte man:
Dauerlastschriften & Einzüge beenden
Kredit- und Tankkarten nicht mehr nutzen
Kassenbestand ggf. erhöhen
Software auf Eignung prüfen
Zählerstände (Strom, Gas, Wasser) ablesen und Zwischenabrechnungen anfordern
Factoring-Verträge überprüfen
Behörden (Finanzamt, Sozialversicherung) per Fax bösgläubig stellen – Zahlungsbeträge um 0,01 € erhöhen, damit EDV den Vermerk ausspuckt
C. Besondere Regeln im vorläufigen Verfahren
Alle Altverbindlichkeiten bleiben „eingefroren“
Inventur am Tag des Antrags – Eigentumsvorbehalte dokumentieren
Saldenlisten, OP-Listen, Anlagenspiegel sichern (PDF und Excel)
Umsatzsteuer-Voranmeldungen wie gewohnt, Zahlung aber mit Beratern abstimmen
Rechnungen für Lieferungen/Leistungen im vorläufigen Verfahren müssen bezahlt werden – Fristen beachten
D. Nach Eröffnung des Verfahrens
Neues (Rumpf-)Geschäftsjahr startet mit der Verfahrenseröffnung
Verbindlichkeiten ohne Gerichtsermächtigung werden Insolvenzforderungen
Rechnungen ab Insolvenzeröffnung müssen klar markiert sein (z. B. „C“)
Zahlungseingänge aus Anfechtungen erhöhen Verbindlichkeiten
Buchhaltung hilft bei der Forderungsprüfung – Eigentumsvorbehalte und Ansprüche (z. B. Urlaub, Gesellschafterforderungen) klären
E. Nach Aufhebung des Verfahrens
Neues Rumpfwirtschaftsjahr startet
Sanierungsgewinn erfassen (durch Forderungsverzichte)
Planverbindlichkeiten müssen fristgerecht bedient werden – Terminüberweisungen einrichten
F. Steuerliches ab Verfahrenseröffnung
Neue Steuernummer beantragen (USt-ID bleibt)
Umsatzsteuerkorrekturen gemäß § 17 UStG durchführen
Bei uneinbringlichen Forderungen: Umsatzsteuer korrigieren
Bereits gezahlte Sondervorauszahlungen werden verrechnet
Zahlungen auf alte Forderungen sind Masseverbindlichkeiten – neu versteuern
G. Lohnbuchhaltung – vorläufiges Verfahren
Insolvenzgeld bis 8.050 € (2025)
Geldwerte Vorteile & Sachbezüge weiter ansetzen
Keine Gehaltsumwandlungen
BAV-Beiträge trägt der Mitarbeiter selbst
Privat-/Freiwilligversicherte zahlen Beiträge selbst
Meldung der Sozialversicherungsbeiträge an KK (geschätzt)
Steuerfreie Insolvenzgeld-Zeiten = Nullmeldung an das Finanzamt
Nachträgliches Insolvenzgeld („rollierend“) erfordert Lohnsteuer-Nachmeldung
H. Lohnbuchhaltung – ab Insolvenzeröffnung
Neue Betriebsnummer beantragen
Mitarbeiter mit Meldegründen 30/10 (oder 33/13) ab-/anmelden
Neue Mitgliedsnummer bei der Berufsgenossenschaft beantragen
Bei Monatsmitte-Eröffnung: doppelte Lohnabrechnung
Steuerbescheinigungen ggf. manuell über ELSTER einreichen